Die Fachgewerkschaft für die Beschäftigten der Post, Postbank, Telekom und Call-Center

Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg

Entgelttarifvertrag verstößt gegen Teilzeit- und Befristungsgesetz

Gemäß § 4 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) darf ein Arbeitgeber befristet beschäftigte Arbeitnehmer nicht schlechter behandeln als vergleichbare unbefristet Beschäftigte – es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG).

Der Entgelttarifvertrag (ETV) der Deutschen Post AG sieht hingegen eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor und ist in diesem Punkt rechtswidrig. Das geht zumindest aus einem Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 20. September 2022 – Az. 4 Ca 422/22 – hervor.

Der Entgelttarifvertrag der Deutschen Post AG regelt die Zuordnung zu den einzelnen Gruppenstufen einer jeden Entgeltgruppe. Die Entgeltgruppen orientieren sich jeweils an den Tätigkeiten und die einzelnen Gruppenstufen an den zurückgelegten Tätigkeitsjahren. Die Tarifvorschrift § 1 in Verbindung mit § 4 TV Nr. 200 DP AG enthält eine Stichtagsregelung. Diese sieht vor, dass Arbeitnehmer, die ein Arbeitsverhältnis nach dem 30. Juni 2019 neu begründet hatten und am 30. Juni 2019 bereits in einem Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post
AG standen, der Gruppenstufe des bisherigen Arbeitsverhältnisses zugeordnet bleiben. Eine höhere Gruppenstufe wird ihnen damit verwehrt. Die Tarifvertragsparteien hatten in einer Erklärung zum Entgelttarifvertrag der DP AG außerdem festgehalten, dass ein neues Arbeitsverhältnis begründet wird, wenn sich an ein bisher befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anschließt. Diese tarifvertragliche Regelung und die Erklärung waren nun Gegenstand der Rechtsstreitigkeit vor dem Arbeitsgericht Würzburg.

Der Kläger war bei der Beklagten bereits seit Anfang 2018 und ohne Unterbrechung mehrfach befristet als Verbundzusteller beschäftigt. Erst Ende 2019 entfiel seine Befristung. Aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung wurden die Tarifverträge der Deutschen Post AG auf sein Arbeitsverhältnis angewendet. Mit seiner Klage machte der Zusteller eine höhere Gruppenstufe und damit einen höheren Tariflohn geltend. Im Gegensatz dazu ging die beklagte Deutsche Post AG von der Neubegründung des Arbeitsverhältnisses nach dem 30. Juni 2019 aus und verwies in diesem Zusammenhang auf die Erklärung der Tarifvertragsparteien.

Klage stattgegeben
Das Arbeitsgericht Würzburg gab der Klage des Beschäftigten statt. Danach sei die Zuordnung zu einer niedrigeren Gruppenstufe fehlerhaft. Der Kläger stand am 30. Juni 2019 bereits und am 1. Juli 2019 noch in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Er hat dadurch früher das höhere Tätigkeitsjahr erreicht als von der Beklagten errechnet. In diesem Punkt verstoße der ETV gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz, so die Richter. Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, muss der Arbeitgeber für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer. Dies gilt auch im Hinblick auf Entgeltansprüche, die von zurückliegenden Beschäftigungszeiten abhängen. Hier müssen dieselben Zeiten wie für unbefristet Beschäftigte berücksichtigt werden. Die Erklärung der Tarifvertragsparteien, wonach es sich um die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses handele, wenn sich an ein bisher befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anschließe, ist rechtswidrig. Sie verstößt gegen § 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG.

Auch das Bundesarbeitsgericht hatte bereits in einer früheren Entscheidung festgestellt, dass die Zuordnung zu einer Entgeltstufe nach einer Einstellung nicht neu zu laufen beginne, wenn zuvor bereits mit demselben Arbeitgeber ein gleichartiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Verrichteten Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen identische Aufgaben wie Dauerbeschäftigte, erlangten sie die gleiche Berufserfahrung.

Im vorliegenden Fall war der Kläger seit 2018 unverändert und ohne zeitliche Unterbrechung als Verbundzusteller beschäftigt. Die Post behandelte ihn jedoch anders als Arbeitnehmer, die zum 30. Juni und 1. Juli 2019 bereits in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden haben. Der Tarifvertrag rechtfertigt diese Ungleichbehandlung nicht und ist daher rechtsunwirksam. Der Arbeitgeber darf diese Tarifvorschrift nicht anwenden und muss den Kläger mit dem zum Stichtagszeitpunkt unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer gleichbehandeln. Die geltend gemachten Nachzahlungen stehen dem Kläger zu. Der Arbeitgeber muss nun den Lohn in Höhe von 1.583,03 Euro brutto nebst Zinsen nachzahlen.

DPVKOM-Mitglieder mit vergleichbaren Fällen sollten sich schnellstmöglich mit der DPVKOM in Verbindung setzen, damit wir eventuell vorhandene Ansprüche ebenfalls geltend machen können. Diese Ansprüche müssen innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 38 MTV DP AG geltend gemacht werden.

Maurizio Arnaldi