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dbb Jahrestagung 2024

Diskussion zur Europa-Wahl: Herausforderungen für die freien Gesellschaften

Mit Blick auf die Europawahl in diesem Jahr diskutierten die deutschen Spitzenkandidierenden auf der dbb Jahrestagung am 8. und 9. Januar in Köln die Herausforderungen für Deutschland und die EU.

In ihrem Impulsvortrag attestierte Dr. Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations eine Erosion der bestehenden Systeme: „Sollte Trump Ende 2024 die US-Wahl gewinnen, wird er die Demokratie nicht umbauen, sondern abbauen. Ein Sieg der Republikaner würde genau die Kräfte in Europa stärken, die solche autoritären Systeme wollen.“ Russlands Krieg habe Europas Abhängigkeit von der USA verstärkt, die Allianz mit den USA stehe aber auf der Kippe, wenn autokratische Bewegungen weiter an Stärke gewinnen. „Gleichzeitig strebt Russland eine neue Allianz mit China an. Das bedroht unsere Weltvorstellung, in der die Stärke des Rechts gilt, nicht das Recht des Stärkeren.“ In den kommenden Jahren werde die EU vor schwierigen Entscheidungen stehen, mit wem sie Allianzen eingehen oder beenden wollen. Europas Ausrichtung werde massive Folgen für alle Bürgerinnen und Bürger haben. Sie appellierte für mehr Initiative: „Wir Europäerinnen und Europäer sind kein Spielball der Geschichte, wir haben unser Schicksal selbst in der Hand.“

Im Anschluss diskutierten die deutschen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für die Europawahl. Gegen die globale Krise sah Katarina Barley (SPD) den Kontinent besser gewappnet, als man es in Deutschland wahrnehme. Allerdings sei die Europäische Union „ein Tanker, der in voller Fahrt umgebaut wird und der weitere Reformen umsetzen muss.“ Mit Blick auf einen drohenden Rechtsruck betonte die Sozialdemokratin, dass Social Media inzwischen zu einem Vehikel des politischen Extremismus geworden sei – die gemeinsame „Realitätsbasis“ gehe verloren. Daher gehe es beim Thema Demokratie auch um Resilienz.

Marie Agnes Strack-Zimmermann, MdB (FDP) betonte die Notwendigkeit, trotz der globalen Krisen in der Welt positiv zu bleiben. „Wenn man immer nur in den Abgrund schaut, muss man sich nicht wundern, wenn man da irgendwann auch landet“, sagte die passionierte Motorradfahrerin und schickte prompt ein Zitat ihres Fahrtrainers hinterher: „Guckst du scheiße, fährst du scheiße.“ Der Zustand der Demokratie bereitet ihr Sorgen, betonte die Politikerin. Problematisch sei, wenn Menschen nicht mehr sehen, dass alle trotz Meinungsunterschieden immer noch eine Gemeinschaft sind. Diese Gemeinschaft werde von Kräften am rechten Rand infrage gestellt. Strack-Zimmermann: „Wir müssen Radikale radikal raushalten.“

Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sicherstellen – das ist für Terry Reintke, MdEP (Bündnis 90/Die Grünen) ein zentrales Anliegen. Aktuell stelle eine einzige Person die Handlungsfähigkeit Europas infrage, namentlich: Viktor Orban, der ungarische Ministerpräsident. „Das ist untragbar, Orban nimmt alle in Geiselhaft.“ Große Bedeutung maß Reintke daher dem Weimarer Dreieck zu, der Zusammenarbeit zwischen Berlin, Paris und Warschau. Mit dem Regierungswechsel in Polen bestehe die Chance, das Format wieder aufleben zu lassen. Für die kommende Legislaturperiode warb die Grünen-Politikerin für den Zusammenhalt der pro-europäischen Fraktionen. „Sie haben in der Vergangenheit in den meisten Fällen die Mehrheiten gebildet, das soll auch in Zukunft so bleiben.“

Axel Voss, MdEP (CDU) legte den Fokus auf die Handlungsfähigkeit Deutschlands. „Wir sind derzeit nicht in der Lage, Zeitenwenden durch neue Priorisierungen zu begleiten“. Es setze Mut und Entschlossenheit voraus, dem Handlungsdruck zu begegnen. Daran fehle es der Politik aktuell: „Ich sehe derzeit nicht, dass wir ernsthaft an die Probleme herangehen, und ich vermisse auch in der politischen Mitte das Zusammenstehen und das zielorientierte Arbeiten“. Mit Blick auf Strategien, antidemokratische Kräfte im Zaum zu halten gelte es, sich den Lebenswirklichkeiten der Bürgerinnen und Bürger zu stellen und schneller ernsthafte Lösungen anzubieten. Je unzufriedener die Menschen seien, desto eher wendeten sie sich populistischen und demokratiefeindlichen Kräften zu.

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