Wenn Arbeitgebende die Beschäftigten nicht auf den möglichen Verfall von Urlaub hingewiesen haben, kann kein Urlaubsanspruch verfallen. Denn Arbeitgebende, die ihre Hinweispflichten verletzen, dürfen nicht noch mit der Verjährung belohnt werden, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 22. September 2022, Az. C-120/21).
Nach dem Bundesurlaubsgesetz ist der gesetzliche Mindesturlaub (20 Tage bei einer 5-Tage-Woche / 24 Tage bei einer 6-Tage-Woche) grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember zu nehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verfällt der Urlaubsanspruch zum Ende des Kalenderjahres. Ausnahmsweise kann er aber bis zum 31. März des Folgejahres übertragen werden, wenn die Beschäftigten den Urlaub aus dringenden betrieblichen Gründen oder aus in ihrer Person liegenden Gründen (zum Beispiel Krankheit) nicht nehmen konnten. Bei Langzeiterkrankungen verfällt der Urlaub spätestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, also zum 31. März des übernächsten Jahres (BAG, Urteil vom 7. August 2012, Az. 9 AZR 353/10).
Abweichende Regelungen in Tarifverträgen
In Betrieben, in denen Tarifverträge Geltung haben, können abweichende Bestimmungen getroffen werden. Beispielsweise haben Beschäftigte der Deutschen Post AG nach § 25 MTV DP AG einen höheren Urlaubsanspruch als den gesetzlich geregelten Mindesturlaub. Bei einer Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf regelmäßig fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Erholungsurlaub je Urlaubsjahr mit einer Postdienstzeit bis zur Vollendung von drei Jahren 26 Arbeitstage. Die Anzahl der Urlaubstage steigt mit den Jahren der Postdienstzeit. Nach § 25 MTV DP AG ist der Urlaub, der im Urlaubsjahr nicht oder nicht voll gewährt oder genommen wurde, spätestens bis zum 31. März des nächsten Urlaubsjahr anzutreten. Ist dies aus betrieblichen Gründen oder wegen Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, verlängert sich die Frist bis zum 30. Juni. Wird der Urlaub während der Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. Juni nicht angetreten, so ist er in bar abzugelten.
Auch für Beschäftigte der Deutschen Telekom AG gelten tarifvertragliche Regelungen. Demnach ist zum Beispiel in § 24 MTV DT AG ein höherer Urlaubsanspruch als der gesetzlich geregelte Mindesturlaub festgeschrieben. Bei einer Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf regelmäßig fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Erholungsurlaub je Urlaubsjahr 30 Arbeitstage, für Teilzeitkräfte entsprechend anteilig. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Erholungsurlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche Gründe oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub bis spätestens 31. März des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zu diesem Zeitpunkt angetreten werden, so verlängert sich dieser Übertragungszeitraum bis zum 30. April des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres. Für die Gewährung und den Verfall der 14 EZA-Tage gelten besondere Regelungen.
Kein Verfall ohne Hinweis
Entscheidend ist jedoch in allen Fällen, ob die Arbeitgebenden ihre Hinweispflichten erfüllt haben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt in drei Fällen aus Deutschland entschieden, dass der Urlaubsanspruch in bestimmten Fällen nicht verfällt beziehungsweise verjährt.
Zwei der Fälle drehten sich um den Urlaubsanspruch bei Krankheit. Die Kläger machten geltend, dass sie einen Anspruch auf bezahlten Urlaub für das Jahr haben, in dem sie aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert beziehungsweise arbeitsunfähig waren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wollte vom EuGH wissen, ob der Urlaubsanspruch auch dann nach 15 Monaten verfallen darf, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten nicht erfüllt hat, also beispielsweise keine Frist gesetzt hat, in welcher der Urlaub genommen werden soll. Dem erteilte der EuGH eine klare Absage: Der Urlaubsanspruch verfalle nur dann, wenn die Arbeitgebenden die Beschäftigten rechtzeitig in die Lage versetzt haben, ihren Urlaub zu nehmen. Von der Regel, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht erlöschen, könne zwar unter "besonderen Umständen“ eine Ausnahme gemacht werden, um die negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen nach Abwesenheit wegen Langzeiterkrankung zu vermeiden. Eine solche Ausnahme beruhe auf dem eigentlichen Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sowie auf der Notwendigkeit, die Arbeitgebenden vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen der Beschäftigten und den Schwierigkeiten zu schützten, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können. Es obliege dementsprechend den Arbeitgebenden, die Beschäftigten in die Lage zu versetzen, ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben.
Im dritten Fall konnte die Klägerin ihren Urlaub über einen längeren Zeitraum nach eigener Aussage wegen des hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen und forderte eine Abgeltung der Urlaubstage. Auch hier führte der EuGH aus, dass eine Abgeltung der Urlaubstage wegen Verjährung nur dann ausscheidet, wenn der Arbeitgeber dafür gesorgt hat, dass die Arbeitnehmerin ihren Urlaub tatsächlich wahrnehmen konnte.
Dies schützt die Beschäftigten vor einer unrechtmäßigen Bereicherung der Arbeitgebenden und dient dem von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verfolgten Zweck, die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen.
Jessica Zumhoff